Europäische Richtlinien Täterarbeit – eurit©

Europäische Richtlinien Täterarbeit – eurit©

Die eupax® – der europäische Fachverband für Gewaltberatung und Tätertherapie – veröffentlicht Richtlinien zur Arbeit mit gewalttätigen Menschen. Grundlage bilden jahrelange Erfahrungen der Täterarbeit und zahlreiche Studien sowie neueste neurologische Erkenntnisse. Damit gibt sie den zahlreichen in Europa selbständig tätigen Gewaltberatern_innen, als auch den Institutionen, die sich der Arbeit mit Gewalttätern und –täterinnen verschrieben haben, einen Kodex an die Hand, auf dessen Grundlage erfolgreiche Täterarbeit möglich und sinnvoll ist.

Täterarbeit ist sinnvoll und notwendig. Die gesetzlichen Vorgaben (Gewaltschutzgesetz im Falle der Häuslichen Gewalt z.B.) zum Schutz von Opfern sind letztlich nur eine kurzfristige Option, denn Täter und Opfer werden nur kurzzeitig getrennt. Weitere Übergriffe sind vorprogrammiert, sofern nicht eine gezielte Beratung oder Therapie der Menschen, die zu diesen gewalttätigen Handlungen neigen, stattfindet. Die eupax® vertritt die Auffassung, dass eine erfolgreiche Gewaltberatung/ Tätertherapie, die auf Nachhaltigkeit ausgelegt ist, der Eigenmotivation der betroffenen Menschen bedarf und – ein wesentlicher Faktor für das Gelingen – die vorhandenen Ressourcen des Täters/ der Täterin herausarbeitet und stärkt. Gewalt ist in den meisten Fällen das Ergebnis von Unsicherheit, Hilflosigkeit, Zweifeln an der eigenen Selbstwirksamkeit und Verzweiflung, weniger eine Frage der Machterhaltung bzw. Durchsetzung von Macht. Gewalt verstärkend wirken übernommene Verhaltensmuster und Rollenklischees. Da sich v.a. Häusliche Gewalt auf keine bestimmte soziale Schicht beschränkt, können auch mangelnde Bildung oder geringere Intelligenz nicht als bestimmende Ursachen herangezogen werden. In diesem Zusammenhang weist die eupax® immer wieder darauf hin, dass die offiziell zugänglichen Zahlen im Bereich der Häuslichen Gewalt nur etwa zwischen 10-20 Prozent der real vorkommenden Übergriffe gegen Partner, Partnerin und Kindern ausmachen.

Als Fachverband tritt die eupax®mit dem Ziel an, Grundhaltungen und methodische Ansätze der Täterarbeit in Organisationen, Berufsfeldern und der (Fach-) Öffentlichkeit zu verbreiten und den Menschen, die sich dieser Arbeit verbunden fühlen, in vielfältiger Weise Unterstützung zukommen zu lassen.

Europäische Richtlinien Täterarbeit – eurit©

Präambel

Für Täterarbeit ist es ein selbstverständliches Anliegen, Kenntnisse und Fähigkeiten zum Wohle von KlientInnen und Gesellschaft einzusetzen. Täterarbeit versteht sich als aktiv im Sinne von Friedensarbeit und gewaltfreier Konfliktaustragung. Die Würde und Integrität der Menschen zu achten – unabhängig von ihren Taten – ist unabdingbarer Bestandteil dieses Verständnisses. Um wirksam und nachhaltig helfen und unterstützen zu können, ist das Vertrauen ihres Klientels notwendig. Dies verpflichtet, die Menschen, die zu ihnen kommen, zu respektieren und ggf. auch ihre Rechte vor willkürlichen Eingriffen zu schützen. Die Arbeit mit TäterInnen hat auch immer die anderen betroffenen Menschen im Blick und bezieht systemische Perspektiven mit ein: Um Opfer zu schützen und Gewalt dauerhaft verhindern zu können, ist Täterarbeit notwendig. Täterarbeit findet auf der Basis von zuverlässigem und validem Wissen, neurowissenschaftlichen, pädagogischen, psychologischen Erkenntnissen sowie Erfahrungen aus mehr als 25 Jahren praktischer Arbeit mit GewalttäterInnen statt. Die daraus resultierenden Kenntnisse und Kompetenzen werden inzwischen in einer Vielzahl beruflicher Kontexte erfolgreich angewendet. Gerade auch in diesem Arbeitsfeld erfordert verantwortliches berufliches Handeln eine hohe fachliche Kompetenz, die einer regelmäßigen Aktualisierung bedarf. Täterarbeit entwickelt sich ständig weiter, deshalb bilden sich die hier Tätigen kontinuierlich fort, um auf dem neuesten Stand wissenschaftlicher Erkenntnisse sowie aktueller empirischer Befunde zu bleiben.

Gewalt

Gewalt ist die Androhung und/oder Verletzung der körperlichen Integrität des Gegenübers. Gewalt ist ein Verstoß gegen das Recht jedes Menschen auf körperliche und seelische Unversehrtheit.

Das Ziel jeder Form von Täterarbeit ist die nachhaltige Beendigung von gewalttätigem Verhalten und unabdingbar für den Schutz der Opfer vor gegenwärtigem oder zukünftigem Gewalthandeln.

Grundhaltung für die Arbeit mit gewalttätigen Menschen

Gewalttätiges Verhalten ist veränderbar.

TäterInnen können und wollen ihr gewalttätiges Verhalten ändern, wenn ihnen eine angemessene, sachdienliche und kompetente Unterstützung zuteil wird.

Täterarbeit verurteilt die Gewalttat, jedoch nicht den Menschen.

TäterInnen sind für gewalttätiges Verhalten verantwortlich. Die Verantwortungs- übernahme für das eigene Gewalthandeln ist die Voraussetzung für das Gelingen der Beratung/Therapie.

Jeder Mensch hat die Möglichkeit, sein gewalttätiges Verhalten zu überwinden und zu wachsen. Professionelle Täterarbeit bietet dazu die notwendige kompetente Unterstützung und Hilfe.

Ein erfolgreiches Arbeiten unterscheidet Aggression und Gewalthandeln. Aggression ist eine notwendige Fähigkeit zur Grenzsetzung im Unterschied zum Gewalthandeln als einem Akt der Grenzüberschreitung.

Da Gewalt die Auseinandersetzung mit negativ bewerteten Gefühlen vermeidet und in den meisten Fällen der Abwehr von Hilflosigkeit und Ohnmacht dient, ist die Arbeit mit und an den Emotionen ein wesentlicher Bestandteil von Täterarbeit.

Grundsätze für eine erfolgreiche Täterarbeit

Täterarbeit differenziert in der Arbeit zwischen gewalttätigen Männern und Frauen. Sie berücksichtigt die Auswirkungen der geschlechtspezifischen Sozialisation und aktuellen Lebenssituation sowohl auf Seiten des Klientels als auch auf Seiten der Professionellen.

Täterarbeit eröffnet Perspektiven, hilft bei der Aufdeckung verloren geglaubter Ressourcen und unterstützt bei der Erarbeitung und Erprobung von Verhaltensalternativen.

Täterarbeit bedient sich vielfältiger kreativer Methoden zur Kristallisation und Erhellung von Problemfeldern und ergänzt auf diese Weise den rein sprachlichen Zugang.

Täterarbeit gibt Raum für Ungewohntes und Neues und wagt mit den KlientInnen eingefahrene Muster und Rahmen zu verlassen.

Erfolgreiche Täterarbeit definiert Räume und konfrontiert beim Überschreiten der Grenzen.

Aus methodischen Gründen ist es notwendig zu Beginn eines Arbeitsprozesses individuell auf jede GewalttäterIn einzugehen. Deshalb ist zwingend ein beraterisch-therapeutisches Einzelsetting erforderlich. Nachgeordnet können in einem pädagogischen Gruppensetting die erreichten Veränderungen gefestigt und ausgebaut werden.

Zur Steigerung der Selbstwirksamkeit der KlientInnen wird eine gegenwartsbezogene Herangehensweise bevorzugt.

Durch die Stärkung der Selbstwahrnehmung und das Erleben der eigenen Gefühlsvielfalt werden Veränderungsprozesse möglich und haben eine nachhaltige Wirkung.

Rahmenbedingungen / Gesellschaftlicher Kontext
  • Gewalt ist ein schichtübergreifendes Phänomen und in allen Bereichen unserer Gesellschaft zu finden. Aus diesem Grund muss Täterarbeit alle gewalttätigen Menschen im
  • Hellfeld (justiziell oder polizeilich verfolgt)
  • Graufeld (helfenden Sozialeinrichtungen bekannt) und
  • Dunkelfeld (nur den Betroffenen bekannt) erreichen.
  • Gewalt im Dunkelfeld ist nicht weniger grausam und zerstörerisch als im Hell- und Graufeld.

 

  • Aus systemischer Sicht und unter dem wesentlichen Aspekt der spezifischen Verantwortungszuweisung bzw. Verantwortungsabgrenzung sind Täter- und Opferarbeit strikt voneinander zu trennen.
  • Täter- und Opferarbeit finden gleichwertig in gegenseitigem Respekt statt.
  • Arbeit mit gewalttätigen Menschen findet im Kontext von regionaler psychosozialer Vernetzung statt.
  • Sofern eine justizielle Verfolgung stattfindet, befürwortet Täterarbeit ausdrücklich die Bestrafung von gewalttätigem Verhalten. Eine Veränderung des Klientels erfolgt hierdurch jedoch nicht, dazu bedarf es einer qualifizierten, professionellen Bearbeitung.
Qualitätssicherung

Qualifizierte Täterarbeit setzt kompetente, gut ausgebildete und erfahrene MitarbeiterInnen voraus. Folgende Voraussetzungen müssen dazu mitgebracht bzw. erfüllt werden:

Die Grundqualifikation ist ein Fachhochschul- oder Hochschulabschluss in einer (sozial-) pädagogischen, sozialarbeiterischen oder psychologischen Fachrichtung oder eine vergleichbare Qualifikation.

Zusätzlich sind gewaltspezifische Zusatzausbildungen gemäß den Empfehlungen des Europäischen Fachverbands für GewaltberaterInnen und TätertherapeutInnen (eupax®) verbindlich.

Regelmäßige Fort- und Weiterbildungen zum Gegenstand der Arbeit dienen der Aktualisierung des Kenntnisstandes und des Wissens.

Fachspezifische Supervisionen und Intervisionen.

Standard dienen der Qualitätssicherung und sind ein Werkzeug in der Zusammenarbeit mit Institutionen.

Die Dokumentation von Prozessverläufen ist integraler Bestandteil der laufenden Arbeit und ermöglicht eine Evaluation.

Die Teilnahme an regelmäßig stattfindenden Verbandstreffen ist erwünscht.

eupax®-Webseite und eupax®-blog informieren fortlaufend über neueste Entwicklungen, Beschlüsse, Fort- und Weiterbildungen sowie wichtigen Terminen und aktuellen Informationen.

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